Ihren Eminenzen, die Kardinäle
Walter BRANDMÜLLER
Raymond Leo BURKE
Liebe Brüder,
Ich schreibe
Ihnen unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom vergangenen 10. Juli. Darin
wollten Sie mich auf einige Fragen aufmerksam machen, die Ihrer Meinung nach in
gewisser Weise mit dem Prozess zusammenhängen, der im Hinblick auf die
bevorstehende Bischofssynode zum Thema Synodalität eingeleitet wurde.
In diesem
Zusammenhang möchte ich einige sehr wichtige Aspekte mit Ihnen teilen. Bei der bevorstehenden
Synode war es mir ein großes Anliegen, einen Prozess in Gang zu setzen, an dem
ein wirklich bedeutender Teil des gesamten Gottesvolkes beteiligt ist.
Entlang dieses
Weges, konnten wir mit Hilfe und Inspiration des Heiligen Geistes „die Freuden
und Hoffnungen, die Sorgen und Ängste der Menschen von heute, vor allem der
Armen und Leidenden“ sammeln, und wir konnten einmal mehr erfahren, dass diese
Freuden, diese Hoffnungen, diese Sorgen und Ängste „zugleich die Freuden und
Hoffnungen, die Sorgen und Ängste der Jünger Christi sind. Es gibt nichts
wahrhaft Menschliches, das nicht ein Echo in seinem Herzen findet“. (Gaudium et
spes, 1).
Um dem in
vollem Umfang gerecht zu werden, wird dieser Prozess - der bekanntlich bis
Oktober 2024 dauern wird - wurden auch Fragen und Konsultationen zur Struktur
(Teilnahme und Kommunion) und zur Sendung der Kirche in unserer Zeit gesammelt.
Mit großer
Aufrichtigkeit sage ich Ihnen, dass es nicht gut ist, sich vor diesen Fragen
und diesen Anfragen zu fürchten. Der Herr Jesus, der Petrus und seinen
Nachfolgern unermüdlichen Beistand bei der Aufgabe der Sorge für das heilige
Volk Gottes versprochen hat, wird uns auch dank dieser Synode helfen, immer
mehr im ständigen Dialog mit den Männern und Frauen unserer Zeit und in
völliger Treue zum heiligen Evangelium zu sein.
Obwohl ich es
nicht immer für klug halte, direkt an mich gerichtete Fragen zu beantworten (da
es unmöglich wäre, sie alle zu beantworten), halte ich es in diesem Fall wegen
der Nähe der Synode für angebracht, dies zu tun.
Konkret:
Frage 1
a) Die Antwort
hängt von der Bedeutung ab, die Sie dem Wort "umdeuten" geben. Wenn
man es als "besser auslegen" versteht, ist der Ausdruck gültig. In
diesem Sinne hat das Zweite Vatikanische Konzil bestätigt, dass es notwendig
ist, dass durch die Arbeit der Exegeten - ich würde hinzufügen, der Theologen -
"das Urteil der Kirche zur Reife gebracht wird" (Zweites
Vatikanisches Ökumenisches Konzil, Dogmatische Konstitution Dei Verbum, 12).
b) Es stimmt
zwar, dass die göttliche Offenbarung unveränderlich und immer verbindlich ist,
aber die Kirche muss demütig sein und erkennen, dass sie ihren unergründlichen
Reichtum nie ausschöpft und in ihrem Verständnis wachsen muss.
c) Sie reift also
auch in ihrem Verständnis dessen, was sie selbst in ihrem Lehramt bekräftigt
hat.
d) Der kulturelle Wandel und die neuen
Herausforderungen der Geschichte verändern die Offenbarung nicht, aber sie
können uns anregen, einige Aspekte ihres überbordenden Reichtums, der immer
mehr bietet, deutlicher zu machen.
e) Es ist
unvermeidlich, dass dies dazu führt, dass einige frühere Aussagen des Lehramtes
besser zum Ausdruck kommen, und in der Tat ist dies im Laufe der Geschichte der
Fall gewesen.
f) Andererseits
ist es wahr, dass das Lehramt dem Wort Gottes nicht überlegen ist, aber es ist
auch wahr, dass sowohl die Texte der Heiligen Schrift als auch die Zeugnisse
der Kirche so interpretiert werden müssen, dass ihre immerwährende Substanz von
der kulturellen Prägung unterschieden wird. Sie zeigt sich beispielsweise in
biblischen Texten (wie Ex 21, 20-21) und in einigen lehramtlichen
Interventionen, die die Sklaverei tolerierten (vgl. Nikolaus V., Bulle Dum
Diversas, 1452). Diese Frage ist nicht unbedeutend, da sie in engem Zusammenhang
mit der immerwährenden Wahrheit der unveräußerlichen Würde der menschlichen
Person steht. Diese Texte sind auslegungsbedürftig. Dasselbe gilt für einige
neutestamentliche Überlegungen zu Frauen (1 Kor. 11, 3-10; 1 Tim 2, 11-10; 1 Tim 2, 11-14) und für andere
Texte der Heiligen Schrift und Zeugnisse der Tradition, die derzeit nicht materiell
wiederholt werden kann.
g) Es ist wichtig zu betonen, daß das,
was sich nicht ändern kann, das ist, was „zum Heil aller“ geoffenbart worden
ist (Konz. Ökumen. Vat. II, Konst. dogm. Dei Verbum, 7). Deshalb muss
die Kirche ständig unterscheiden zwischen dem, was für das Heil wesentlich ist,
und dem, was sekundär oder weniger direkt mit diesem Ziel verbunden ist. In
diesem Zusammenhang möchte ich an die Worte des heiligen Thomas von Aquin
erinnern:
„Je mehr man
zum Partikularen herabsteigt, desto mehr nimmt die Unbestimmtheit zu“. (Summa
Theologiae I-II, Q 94., art. 4)
h) Schließlich
kann eine einzelne Formulierung einer Wahrheit niemals angemessen verstanden
werden, wenn sie allein steht, isoliert von dem reichen und harmonischen
Kontext der gesamten Offenbarung. Die „Hierarchie der Wahrheiten“ impliziert
auch, dass jede Wahrheit in den richtigen Zusammenhang mit den zentraleren
Wahrheiten und mit der Gesamtheit der Lehre der Kirche gestellt wird. Dies kann
letztlich zu unterschiedlichen Auslegungen ein und derselben Lehre führen, auch
wenn „Denjenigen, die sich eine monolithische, von allen ohne Nuancierungen
verteidigte Lehre erträumen, mag das als Unvollkommenheit und Zersplitterung
erscheinen. Doch in Wirklichkeit hilft diese Vielfalt, die verschiedenen
Aspekte des unerschöpflichen Reichtums des Evangeliums besser zu zeigen und zu
entwickeln“ (Evangelii gaudium. 49 [sic: soll 40
heißen])- Jede theologische Linie hat ihre Risiken, aber auch ihre
Chancen.
Frage 2
a) Die Kirche hat
ein sehr klares Verständnis der Ehe: eine exklusive, stabile und unauflösliche
Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, die von Natur aus offen für die
Zeugung von Kindern ist. Nur eine solche Verbindung wird "Ehe"
genannt. Andere Formen von Verbindung realzieren dieses „teilweise und analogisch“
(Amoris laetitia 292), weshalb sie streng genommen nicht als „Ehe“
bezeichnet werden können.
b) Es ist nicht
nur eine Frage der Namen, sondern die Wirklichkeit, die wir Ehe nennen, hat
eine einzigartige wesentliche Beschaffenheit, die einen exklusiven Namen
erfordert, der auf andere Wirklichkeiten nicht anwendbar ist. Sie ist
sicherlich viel mehr als ein bloßes „Ideal“.
c) Aus diesem
Grund vermeidet die Kirche jede Art von Ritus oder Sakramentalien, die dieser
Überzeugung widersprechen und den Eindruck erwecken könnte, dass etwas, das
keine Ehe ist, als Ehe anerkannt wird.
d) Im Umgang mit
den Menschen dürfen wir jedoch nicht die pastorale Nächstenliebe verlieren, die
alle unsere Entscheidungen und Haltungen durchdringen muss. Die Verteidigung
der objektiven Wahrheit ist nicht der einzige Ausdruck dieser Nächstenliebe,
die auch aus Freundlichkeit, Geduld, Verständnis, Zärtlichkeit und Ermutigung
besteht. Deshalb dürfen wir nicht zu Richtern werden, die nur leugnen, ablehnen
und ausgrenzen.
e) Deshalb muss
die pastorale Klugheit richtig erkennen, ob es Formen der Segnung gibt, die von
einer oder mehreren Personen erbeten werden und die nicht eine falsche
Vorstellung von der Ehe vermitteln. Denn wenn ein Segen erbeten wird, ist es
eine Bitte um Hilfe von Gott, eine Bitte um eine bessere Lebensweise, ein
Vertrauen auf einen Vater, der uns helfen kann, besser zu leben.
f) Andererseits
gibt es zwar Situationen, die aus objektiver Sicht moralisch nicht akzeptabel
sind, doch verlangt die pastorale Liebe selbst, dass wir andere Personen, deren
Schuld oder Verantwortung durch verschiedene Faktoren, die die subjektive
Zurechenbarkeit beeinflussen, gemildert werden kann, nicht einfach als „Sünder“
behandeln (vgl. Johannes Paul II., Reconciliatio et Paenitentia, 17).
g) Entscheidungen, die unter bestimmten
Umständen Teil der pastoralen Klugheit sein können, sollten nicht unbedingt zur
Norm werden. Das heißt, es ist nicht angebracht, dass eine Diözese, eine
Bischofskonferenz oder irgendeine andere kirchliche Struktur ständig und
offiziell Verfahren oder Riten für alle möglichen Angelegenheiten genehmigt,
denn alles, „was Teil einer praktischen Unterscheidung angesichts einer
Sondersituation ist, nicht in den Rang einer Norm", weil dies "gäbe
Anlass zu einer unerträglichen Kasuistik“ (Amoris laetitia 304). Das
Kirchenrecht sollte nicht und kann nicht alles abdecken, und auch die
Bischofskonferenzen mit ihren verschiedenen Dokumenten und Protokollen sollten
nicht den Anspruch erheben, dies zu tun, denn das Leben der Kirche verläuft
über viele Kanäle zusätzlich zu den normativen.
Frage 3
a) Obwohl Sie
anerkennen, daß die höchste und volle Autorität der Kirche entweder vom Papst
aufgrund seines Amtes oder vom Bischofskollegium mit seinem Oberhaupt, dem
Römischen Papst, ausgeübt wird (vgl. Konz. Ökumen. Vat.
II, Konst. dogm. Lumen gentium, 22), bekunden Sie doch mit diesen
Dubia selbst Ihr Bedürfnis, mitzuwirken, Ihre Meinung frei zu äußern und
mitzuarbeiten, und beanspruchen so eine Art "Synodalität" bei der
Ausübung meines Amtes.
b) Die Kirche ist
ein "Mysterium missionarischer Gemeinschaft", aber diese Gemeinschaft
ist nicht nur affektiv oder ätherisch, sondern impliziert notwendigerweise eine
wirkliche Beteiligung: dass nicht nur die Hierarchie, sondern das ganze Volk
Gottes auf verschiedene Weise und auf verschiedenen Ebenen seine Stimme erheben
und sich als Teil des Weges der Kirche fühlen kann. In diesem Sinne können wir
sagen, dass die Synodalität als Stil und Dynamik eine wesentliche Dimension des
Lebens der Kirche ist. Der heilige Johannes Paul II. hat in Novo Millennio
Ineunte einige sehr schöne Worte zu diesem Punkt gesagt.
c) Es ist etwas
ganz anderes, eine bestimmte Synodenmethodik, die einer Gruppe gefällt, zu
sakralisieren oder aufzuzwingen, um sie zur Norm und zum obligatorischen Weg
für alle zu machen, denn dies würde nur dazu führen, den synodalen Weg „einzufrieren“
und die unterschiedlichen Merkmale der verschiedenen Teilkirchen und den
vielfältigen Reichtum der Universalkirche zu ignorieren.
Frage 4
a) „Das gemeinsame Priestertum der
Gläubigen und das Amtspriestertum unterscheiden sich wesentlich“ (Konz. Ökumen.
Vat. II, Konst. dogm. Lumen Gentium, 10). Es ist nicht angebracht, einen
Unterschied des Grades zu haben, der impliziert, das gemeinsame Priestertum der
Gläubigen als etwas von „zweiter Kategorie“ oder von geringerem Wert („ein
niedrigerer Grad“) zu betrachten. Beide Formen des Priestertums erleuchten und
stützen sich gegenseitig.
b) Als der heilige Johannes Paul II.
lehrte, dass die Unmöglichkeit, Frauen die Priesterweihe zu erteilen,
"endgültig" bekräftigt werden muss, hat er damit keineswegs die
Frauen herabgesetzt und den Männern die höchste Macht verliehen.
Der heilige
Johannes Paul II. hat auch andere Dinge
bekräftigt. Zum Beispiel, dass,
wenn wir von priesterlicher Macht sprechen, „wir befinden uns hier auf der
Ebene der Funktion und nicht auf der Ebene der Würde und der Heiligkeit.“
(Johannes Paul II., Christifideles laici. 51). Das sind Worte, die wir
nicht ausreichend beherzigt haben. Er vertrat auch klar die Auffassung, dass
der Priester zwar allein der Eucharistie vorsteht, dass aber die Aufgaben führen
„nicht zu einer Überlegenheit der einen über die anderen.“ (Johannes Paul II.,
Christifideles laici, Not. 190; vgl. Kongregation für die Glaubenslehre,
Deklaration Inter Insigniores, VI). Er hat auch bekräftigt, dass die
priesterliche Funktion, wenn sie „hierarchisch“ ist, nicht als eine Form der
Herrschaft verstanden werden darf, sondern „ganz für die Heiligkeit der
Glieder Christi bestimmt“ ist (Johannes Paul II., Mulieris dignitatem,
27). Wenn dies nicht verstanden wird und die praktischen Konsequenzen dieser
Unterscheidungen nicht gezogen werden, wird es schwer zu akzeptieren sein, dass
das Priestertum nur Männern vorbehalten ist, und wir werden nicht in der Lage
sein, die Rechte der Frauen oder die Notwendigkeit anzuerkennen, dass sie auf
verschiedene Weise an der Leitung der Kirche teilnehmen.
c) Auf der
anderen Seite sollten wir, um streng zu sein, anerkennen, dass eine klare und
verbindliche Lehre über die genaue Natur e i n e r "endgültigen
Aussage" noch nicht vollständig entwickelt worden ist. Es handelt sich nicht
um eine dogmatische Definition, die jedoch von allen befolgt werden muss.
Niemand kann ihr öffentlich widersprechen, und doch kann sie Gegenstand von
Untersuchungen sein, wie es bei der Gültigkeit von Ordinationen in der
anglikanischen Gemeinschaft der Fall ist.
Frage s
a) Die Reue ist
eine Voraussetzung für die Gültigkeit der sakramentalen Absolution und setzt
den Vorsatz voraus, nicht zu sündigen. Aber hier gibt es keine Mathematik, und
ich muss Sie noch einmal daran erinnern, dass der Beichtstuhl kein Zollhaus
ist. Wir sind nicht Eigentümer, sondern demütige Verwalter der Sakramente, die
die Gläubigen nähren, denn diese Gaben des Herrn sind mehr als zu bewahrende
Reliquien, sie sind Hilfen des Heiligen Geistes für das Leben der Menschen.
b) Es gibt
viele Möglichkeiten, Reue zum Ausdruck zu bringen. Für Menschen mit einem stark
verletzten Selbstwertgefühl ist ein Schuldbekenntnis oft eine grausame Folter,
aber schon der Schritt zur Beichte ist ein symbolischer Ausdruck der Reue und
der Bitte um göttliche Hilfe.
c) Ich möchte
auch daran erinnern, dass „Manchmal fällt es uns schwer, der bedingungslosen
Liebe in der Seelsorge Raum zu geben“ (Amoris laetitia - 311), aber wir
müssen lernen, dies zu tun. In Anlehnung an den heiligen Johannes Paul II.
behaupte ich, dass wir von den Gläubigen nicht verlangen sollten, dass sie
Beschlüsse fassen über
Die Tatsache,
dass selbst die Vorhersehbarkeit eines neuen Falls „die Echtheit der Absicht
nicht präjudiziert“ (Johannes Paul II., Brief an Kardinal William W. Baum und
an die Teilnehmer des jährlichen Kurses der Apostolischen Pönitentiarie, 22 März
1996, 5).
d) Schließlich
sollte klar sein, dass alle Bedingungen, die üblicherweise an ein Geständnis
geknüpft sind, im Allgemeinen nicht anwendbar sind, wenn sich die Person in
einer Situation der Agonie oder mit sehr begrenzten geistigen und psychischen
Fähigkeiten befindet.
Liebe Brüder,
ich glaube, dass
diese Antworten genügen, um Ihre Fragen zu beantworten.
Bitte vergessen
Sie nicht, für mich zu beten. Ich tue es für Sie.
Brüderlich,
Franziskus