Kardinal Karl Lehmann Foto: Jorge Saidl |
Besonders interessant ist ein Gespräch mit dem Deutschlandfunk, denn in diesem lässt er durchblicken, was ihn zu seinen liberalen Ansichten hinsichtlich Moraltheologie und Papsttum angetrieben hat.
Ich kommentiere hier einige Auszüge aus dem Gespräch, die meines Erachtens beispielhaft die Gesinnung der Progressisten wiedergeben.
Auf die Frage, ob es Momente gab, in denen es ihm schwergefallen sei, katholisch zu bleiben, antwortet Kardinal Lehmann: „Geärgert hat man sich natürlich früher auch mal über den Pfarrer, nicht nur über den Papst oder den Bischof. … Später gab es natürlich dann schon Auseinandersetzungen, besonders in der Zeit, in der ich dann in Rom gewesen bin. Mein Freiburger Erzbischof hat mich 1957 nach Rom geschickt und da habe ich am Anfang schon manchmal Probleme gehabt. Mit der Art der Autoritätsausübung in Rom, mit dem Verständnis auch von Wissenschaftlichkeit in der Theologie und in der Philosophie.“
Bei vielen Progressisten scheint der Anfangsmoment ihrer Polemik gegen Papsttum und Lehramt eine Abneigung gegen die päpstliche Autorität zu sein oder, um genauer zu sein, gegen die päpstliche Lehrautorität in Sachen Glaube und Moral.
Steckt dahinter eine Furcht vor dem Missbrauch dieser Autorität? Steckt dahinter etwa eine Auflehnung des eigenen Hochmuts gegen diese Autorität? Solange diese Personen nicht genauer ihre Ablehnung beschreiben, kann man das nicht wissen.
Jedenfalls ist eines sicher: Die Mehrheit der Progressisten hat ein gespaltenes Verhältnis zur päpstlichen Lehrautorität. Sie wollen in dieser Autorität nicht erkennen, dass sie ein Geschenk Gottes an die Menschen und damit in sich gut ist.
Jesus Christus fordert von den Menschen, in der Wahrheit zu sein und zu bleiben. Die Tatsache, dass es einen in dogmatischer Hinsicht unfehlbaren Papst gibt, der in Fragen zu Glaube und Moral endgültig entscheiden kann, was die Wahrheit ist, soll man fröhlich als Geschenk Gottes annehmen und nicht als Grund, misstrauisch und ängstlich zu werden.
Die normale Haltung des Katholiken gegenüber der Existenz einer unfehlbaren Autorität in der Kirche ist zunächst, daran freudig zu GLAUBEN, diese Autorität zu LIEBEN, weil sie von Gott ist und grundsätzlich gut ist und die HOFFNUNG zu besitzen, dass Gott dafür sorgen wird, dass diese Autorität zum Heil und nicht zum Verderben der Menschen verwendet wird. Gott weiß nämlich viel besser als wir, dass die Menschen schwach sind und der Sünde verfallen können.
Fehlt dieses Urvertrauen in die kirchliche Autorität, insbesondere in die päpstliche Aufgabenstellung, wird der Glaube schwierig und kompliziert. Bei Kardinal Lehmann erkennt man das, wenn die Journalistin Fragen zur Moraltheologie stellt.
Zu einer Frage über Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene erklärt Kardinal Lehmann, er hätte, als er dafür im Jahr 1994 eingetreten sei, etliche Briefe erhalten: „Ich habe damals unheimlich viele Briefe bekommen, besonders auch aus Frankreich, die gesagt haben: 'Das sind doch Probleme, die wir lösen müssen. Wir können doch nicht einfach durch einen autoritativen Entscheid die Finger davonlassen.' Am krassesten ist für mich der Unterschied: Wir haben damals, in dem 1994 dann folgenden Schreiben der Glaubenskongregation, als massivste Kritik gehört, dass unsere Berufung auf ein freilich gebildetes Gewissen im Grunde genommen unmöglich sei in der Frage.“
Kardinal Lehmann merkt möglicherweise gar nicht, welche Furcht er hier vor der lehramtlichen Autorität der Kirche zeigt. Diese Furcht ist eine Furcht aus Mangel an Vertrauen in die kirchlichen Institutionen. Dieses Misstrauen und diese Furcht führen zu einer Haltung, die a priori alles ablehnt, „was aus Rom kommt“. „Man muss ja alles prüfen, damit man nicht über den Tisch gezogen wird“, so die ängstliche und misstrauische Seele.
Er scheint auch nicht die Tatsache zu würdigen, dass die Unauflöslichkeit der Ehe [also der Grund für die Nichtzulassung zur Kommunion von wiederverheirateten Geschiedenen] ein Geschenk Gottes, also etwas in sich Gutes, ist und keine unerträgliche Last, als ob Gott den Menschen auf despotische Weise Bürden auferlegt.
Dieses Misstrauen gegenüber der Kirche geht sehr oft Hand in Hand mit einem übertriebenen Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit. Diese Haltung kann so weit gehen, dass man nur noch dem eigenen Denken vertraut und sich selbst für unfehlbar hält. Ergebnis dieser völligen Autonomie des eigenen Denkens sind beispielsweise die vielen grotesken Produkte deutscher Theologie und deutscher Philosophie.
Besonders traurig wird es, wenn Kardinal Lehmann zum Thema Homosexualität befragt wird. Ob praktizierte Homosexualität Sünde sei oder nicht, beantwortet er: „Ja, das ist auf der einen Seite natürlich eine äußerst schwierige Frage, wie die Homosexualität auch in den säkularen Wissenschaften erklärt werden kann. Da hat ja niemand eine genauere Antwort. Insofern ist es, glaube ich, auch in jeder Hinsicht voreilig, eine moralistische Verurteilung zu machen.“
Kardinal Karl Lehmann, 33 Jahre lang Bischof, ehemals Professor für Dogmatik, zehn Jahre lang Mitglied der Glaubenskongregation, ist nicht in der Lage, auf diese einfache Frage eine klare Antwort zu geben, obwohl sich die Kirche vielfach dazu geäußert hat und die biblischen Aussagen eindeutig sind.
Es ist traurig zu sagen, aber es scheint tatsächlich so zu sein: Wer der Autorität der Kirche misstraut und sie nur halbherzig annimmt, wer sich lieber auf sein eigenes Urteil verlässt, ist irgendwann nicht mehr in der Lage, Gewissheiten zu haben.
Kann so eine Person andere im Glaubensleben führen? Wohl kaum. Die Popularität Lehmanns scheint bei Personen groß zu sein, die ebenfalls Glaubensgewissheiten ablehnen, weil sie diese als „despotisch“ empfinden, als Produkte einer Kirche, die sich mental noch im Mittelalter befindet.
Vielleicht sollte die Neuevangelisierung Deutschlands genau mit diesen progressistischen Theologen und Priestern beginnen. Bei ihnen muss die Liebe zum Lehramt und zur Autorität neu entfacht werden. Ihnen muss die Schönheit einer Autorität, die Gott selbst gestiftet hat (also die kirchliche Hierarchie) näher gebracht werden. Gott hat diese Autorität gestiftet, damit wir einfacher auf dem Weg der Wahrheit wandeln können und nicht verloren gehen.
Auch muss das Vertrauen in diese lehramtliche Autorität der Kirche gestärkt werden. Das Vertrauen darf nicht naiv sein, sondern den Glauben zur Grundlage haben. Deshalb müssen Fragen gestellt und beantwortet werden wie etwa:
Kann es sein, dass besonders berufene Menschen grob gegen ihre Berufung sündigen? Ja, siehe König Salomon (Götzendienst, Vielweiberei), König David (Mord und Ehebruch), sämtliche Apostel etc.
Kann es sein, dass wichtige Amtsträger ihr Amt missbrauchen? Ja, und so kam es oft zu Verfolgungen von Unschuldigen und sogar von heiligen Personen wie etwa dem hl. Athanasius, der Widerstand gegen den Arianismus geleistet hat.
Kann es sein, dass ein Papst ex-cathedra einen Irrtum - also ein falsches Dogma - verkündet? Nein, denn auch ein Papst muss sich Bibel, Tradition und unfehlbarem Lehramt unterwerfen.
Tatsache ist: Gott wollte Seinen neuen und Ewigen Bund mit sündhaften Menschen schließen. Als Unser Herr Jesus Christus diesen Bund schloss, war einer Seiner Apostel dabei, Ihn zu verraten. Und die anderen würden ihn bald verlassen, Petrus würde ihn sogar verleugnen.
Trotz dieser Schwächen dürfen und müssen wir vertrauen, dass Gott durch eine aus Sündern bestehende Hierarchie die Menschen zum Heil führen will, denn Christus selbst ist das Haupt Seiner Kirche.