Sonntag, 7. Juni 2015

Linkskatholizismus und Sexuelle Revolution in Deutschland

Die Allianz zwischen Sexueller Revolution und Linkskatholizimus in Deutschland
 
Vortrag von Mathias von Gersdorff an der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau am 14. April 2015 im Rahmen der Tagung „Was Gott zusammengefügt hat ... - Ehe, Familie und Sexualität im Zusammenhang mit der Bischofssynode, 2014-2015".


Der deutsche Linkskatholizismus - auch Reformkatholizismus genannt -, der in einer großen Anzahl von Vereinigungen organisiert ist, war in den 1990er Jahre besonders aktiv. So wurde regelmäßig gegen lehramtliche Dokumente protestiert, die als „konservativ“ eingestuft wurde, wie etwa Dominus Iesus. Das wichtigste Thema für diese Katholiken war aber stets die katholische Ehe- und Sexualmoral. Diese wurde als despotisch, unzeitgemäß, impraktikabel oder gar als nicht biblisch kritisiert. Darüber hinaus fordern sie eine Demokratisierung der kirchlichen Strukturen und eine größere Beteiligung der Laien an den kirchlichen Entscheidungen, inklusive Bischofsernennungen. Nach der sogenannten „Debatte um den Beratungsschein“ Ende der 1990er Jahre, in der es um die Zulässigkeit der Erteilung von Beratungsscheinen durch katholische Beratungsstellen der Caritas, des „Sozialdienstes katholischer Frauen“ (SKF) und andere ging, hielt sich der Linkskatholizismus in der Öffentlichkeit mit allzu polemischen Stellungnahmen zurück. Caritas & Co. machten damals großen Druck auf die Bischöfe, um im staatlichen Beratungssystem zu verbleiben. Es hagelte Kritik, denn die ausgestellten „Beratungsscheine“ waren die notwendige Voraussetzung, um eine straffreie Abtreibung vorzunehmen. Schließlich stiegen die deutschen Bischöfe aus diesem System aus. 


In der Mitte: Erzbischof Stanisław Gądecki
Für den Linkskatholizismus in Deutschland war es eine herbe Niederlage, denn wollten diese Debatte ausnutzen, um eine stärkere Beteiligung an den kirchlichen Entscheidungen zu erzwingen. Viele Jahre wurde es still um den deutschen Linkskatholizismus. Doch seit dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. sind diese Kräfte deutlich sichtbarer für die allgemeine Öffentlichkeit geworden. Selbstbewusst und sich ihrer Sache sicher, veröffentlichen sie seitdem Stellungnahmen oder fordern von der kirchlichen Hierarchie gar Reformen, die selbst für kirchenferne Personen unschwer erkennbar dem katholischen Lehramt widersprechen.

Einige Beispiele: Mitte Dezember 2013 forderten 17 Theologieprofessoren ein „Umdenken der katholischen Kirche bei Sexualmoral und Familie“ und behaupten beispielsweise hinsichtlich Homosexualität, dass „Treue, Verlässlichkeit und Solidarität nicht weniger wert sind, nur weil sie von Schwulen und Lesben gezeigt werden“. Die christliche Moralverkündigung müsse auch „die vielen Erscheinungsformen des Sexuellen außerhalb der Ehe“ zum Thema machen.

Programm der Tagung

Ebenfalls Mitte Dezember 2013 hat das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZDK)“ eine Stellungnahme zum Thema Ehe und Familie veröffentlicht: mehr Verständnis für Homosexuelle, wiederverheiratete Geschiedene und Patchwork-Familien.

Mitte Januar 2014, als die Debatte um die Petition „Kein Bildungsplan unter der Ideologie des Regenbogens“, die die Einführung der Gender-Ideologie in den Schulen Baden-Württembergs vorsah, hochkochte, meldete sich der Freiburger Diözesanverband des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und proklamierte: „Katholische Jugendverbände sind für die Förderung der Akzeptanz sexueller Vielfalt (also der Gender-Ideologie) im neuen Bildungsplan“ der Grün-Roten Landesregierung.

Christoph Lehmann von der Katholischen Elternschaft schrieb am 8. Februar 2014 im Berliner Tagesspiegel: „Und auch Konservative können kaum leugnen, dass die staatliche Anerkennung der Übernahme gegenseitiger Verantwortung von Menschen füreinander etwa in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft (also homosexuelle Partnerschaften) hohe Wertschatzung verdient.“ Sowohl Papst Johannes Paul II. wie auch Benedikt XVI. haben „eingetragene Partnerschaften“ unmissverständlich abgelehnt und als Angriffe auf Ehe und Familie bezeichnet.


Nun, solche Erscheinungen sind im deutschen Katholizismus nicht neu. Seit eh und je gibt es Bestrebungen deutscher Katholiken, sich eine eigene Moral und eine eigene Religion zu basteln und sich hierbei nicht zu scheuen, gegen „Rom“ zu polemisieren. Doch es ist auffällig, dass solche Initiativen just in einer Zeit aufkommen, wenn in der säkularen Welt anhand von Projekten im EU-Parlament wie dem „Estrela-Bericht“ (Recht auf Abtreibung und ultraliberale Sexualkunde) und dem „Lunacek-Bericht“ (Sonderrechte inklusive Definition von sog. Hassverbrechen für LGBTI-Menschen), sowie der Einführung der Lerneinheit „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im Rahmen des „Bildungsplanes 2015“ in Baden-Württemberg, Gender Mainstreaming, Gender-Theorie, Homo- und LGBTI-Agenda mit brachialer Gewalt und gar mit Hinterlist vorangetrieben werden. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen den innerkirchlichen und säkularen Vorgängen.

Trotz unterschiedlicher Sprache und Gewichtungen verfolgen beide Strömungen – säkulare linksliberale Kräfte sowie liberale bzw. progressistische Linkskatholiken – dasselbe Ziel: die Durchsetzung der Maximen der Sexuellen Revolution im Geiste der Achtundsechziger-Bewegung als gesellschaftliche und moralische Norm. Die kirchlichen Gruppen, die dies vorantreiben, sind so etwas wie die „Fünfte Kolonne“ der Achtundsechziger-Revolution innerhalb der katholischen Kirche.  

Besonders empörend ist die Tatsache, dass diese linksliberalen katholischen Gruppen solche Themen aufgreifen, wenn konservative Katholiken oder Christen überhaupt dabei sind, gegen das Voranschreiten  der sexuellen Revolution in der Form der oben genannten EU-Resolutionen oder der Einführung von Gender-Mainstreaming in den Schulen kämpfen. Der Linkskatholizismus wählt oft den passenden Moment, um den guten katholischen Kräften in den Rücken zu fallen.

Neue Energie hat dieses linke Milieu erhalten durch die bekannte Rede von Walter Kardinal Kasper vor dem Konsistorium Anfang 2014 als Vorbereitung für die Familiensynode im Oktober 2014. Bekanntlich schlug er vor, Wege zu suchen, damit wiederverheiratet Geschiedene Zugang zur heiligen Kommunion finden könnten. Es ging aber von vornherein um viel mehr, was der Linkskatholizismus auch schnell erkannt hat. Mit seiner Rede hat Kardinal Kasper in Wahrheit die Büchse der Pandora geöffnet, wodurch all der Schmutz der „Sexuellen Revolution“ der Achtundsechziger-Bewegung in die katholische Kirche einzudringen droht.

Beide Familiensynoden – die vom Oktober 2014 und die kommende im Oktober 2015 - werden vom Linkskatholizismus als willkommene Vorwände missbraucht, wieder aktiv für ihre revolutionäre „Vision“ von Kirche und Lehramt zu werben.

Speerspitze des deutschen Links- oder Reformkatholizismus ist die Bewegung „Wir sind Kirche“. Seit etwa 20 Jahren kämpft sie für eine egalitäre Kirche und dient einer liberalen Auffassung von Moral: Schleifung der Unterschiede zwischen Laien und Priestern, Abschaffung des Zölibats, Akzeptanz außerehelicher Sexualität, Akzeptanz der Wiederheirat nach Scheidung, Verständnis für Abtreibung usw.

Somit propagiert „Wir sind Kirche“ innerhalb des Katholizismus sämtliche Positionen, die im säkularen Bereich diverse Organisationen und Aktivisten der sexuellen Revolution im Geiste der 1968er-Bewegung vertreten.

Wegen der durch Kardinal Kasper neu entflammten Diskussion über eine mögliche kirchliche Neubewertung von wiederverheirateten Geschiedenen Katholiken, kamen alle Themen von „Wir sind Kirche“ auf den Tisch. Lange Zeit war von dieser sogenannten „Basisbewegung“ kaum etwas zu hören. In gewisser Weise hat Kardinal Kasper sie wieder aus der Versenkung geholt.

Trotz ihrer Inaktivität ist „Wir sind Kirche“ ideologisch nicht in der Zeit stehengeblieben. Sie haben im Arbeitspapier „Texte und Arbeitshilfen zur Familien-Synode 2014-2015“ komplett die Entwicklungen der sexuellen Revolution der letzten Jahre übernommen.

So treten sie heute für eine positive Bewertung der Homosexualität und von homosexuellen Partnerschaften ein, sie fordern eine positive Bewertung für das „breite Spektrum sexueller Beziehungen unterschiedlicher Intensität und Ausdrucksformen“, sie fordern die Akzeptanz von künstlichen Verhütungsmitteln usw. Diese Forderungen finden sich in einem Positionspapier mit dem Namen „Sexualität als lebenspendende Kraft“, was schon vieles über die Gesinnung der Autoren sagt.

Auch ihre Auffassung von Familie unterscheidet sich kaum noch von jener der Gender-Ideologen: „Ehrlich bemühte Christinnen und Christen in Sachen Familie und Partnerschaften finden sich in unterschiedlichen Lebens‐ und Familienformen: gut gelebte Ehen mit und ohne Kinder, gescheiterte Ehen und Partnerschaften, gelingende zweite Ehen, alleinerziehende Mütter und Väter, Patchwork‐Familien, homosexuelle Partnerschaften mit und ohne Kinder, Singles in familienähnlichen Netzwerken…“

„Wir sind Kirche“ beschränkt sich aber nicht bloß darauf, Forderungen zu stellen und Arbeitspapiere zu redigieren. Sie will in allen Ebenen aktiv werden, um eine revolutionäre Kirche einzurichten. Eine Liste mit fast zwanzig „Aktionsmöglichkeiten vor Ort“ erklärt den Anhängern, wie sie die Ansichten der Bewegung bekannt machen können. Ein „Synoden-Fahrplan“ erläutert die wichtigsten Etappen bis zur Synode und koordiniert die bundesweiten Aktivitäten, um die größtmögliche Wirkung zu erreichen.

Kurz: „Wir sind Kirche“ hat eine regelrechte Kampagne organisiert mit dem Ziel, die sexuelle Revolution in der Familiensynode 2015 in die katholische Kirche einzuführen.

Diese Bewegung steht in Deutschland natürlich nicht alleine da. Eine Schar von subventionierten Theologen leistet die intellektuelle Vorarbeit, um die katholische Ehe- und Sexualmoral zu demontieren. Sie publizieren in renommierten Verlagen wie Herder oder Patmos.

Vor allem Herder hat etliche Titel herausgegeben, in denen zentrale Inhalte des Lehramtes in Frage gestellt oder direkt angegriffen werden. Eines der wichtigsten Bücher in dieser Kategorie ist das des Tübinger Theologen Hermann Häring, „Keine Christen zweiter Klasse“. Zu ihm gesellen sich Titel wie „Der Fall Tebartz-van Elst: Kirchenkrise unter dem Brennglas“, von Joachim Valentin herausgegeben, oder „Leitbild am Ende? – Der Streit um Ehe und Familie“. In einem verschärft rigiden Ton werden die polemischen Themen Sexual- und Ehemoral, Zölibat, hierarchische Verfassung der Kirche usw. wieder aufgewärmt.

In „Leitbild am Ende?“ vertritt Konrad Hilpert, einer der beiden Herausgeber und emeritierter Professor für Theologie an der Universität München, hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften folgende Ansicht: „(Es wäre) evident ungerecht, gleichgeschlechtliche Partner von einem öffentlich anerkannten Institut, in dem der Wille zur dauerhaften Verbundenheit und die gegenseitigen Beistandspflichten geregelt sind (also die sog. gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften gem. dem Lebenspartnerschaftsgesetz, Anm. d. Red.) prinzipiell und auf Dauer auszuschließen.“ Sowohl Johannes Paul II., wie auch Benedikt XVI. lehnten solche pseudofamiliären Konstruktionen vehement ab.

Hilpert will aber keineswegs solche rechtlichen Institute auf homosexuelle Paare beschränkt wissen und regt an: „zusätzlich weitere Institute öffentlich geregelter Partnerschaften zu schaffen, die der Ehe in relevanten Regelungshinsichten ähnlich sind.“ Unter diesen Umständen wundert man sich nicht mehr, wenn Bernhard Laux, zweiter Herausgeber und Professor für Theologische Anthropologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Regensburg, die Auffassung vertritt, für manche könnten alternative Partnerschaftsformen – also „wilde Ehen“ – die „bestmöglich erreichbare Form sein“.

In „Der Fall Tebartz-van Elst“ sinniert Gregor Maria Hoff, Professor für Fundamentaltheologie in Salzburg, über die ekklesiologischen, also kirchenstrukturellen Auswirkungen des Limburger Falles: „Unter der Hand verschieben sich ekklesiologische Koordinaten. Das Volk Gottes erhält ein Mitspracherecht, wenn es um das Amt des Bischofs geht. Zugleich wird die nicht-kirchliche Öffentlichkeit als ein Faktor innerkirchlicher Entscheidungen ernst genommen.“ Der Autor erhofft sich im Grunde eine Demokratisierung der Kirche.

Wesentlich deutlicher und verständlicher fordert Hermann-Josef Frisch eine Demokratisierung der Kirche in seinem Pamphlet „Nicht Kirchenschafe, sondern Mut-Christen“, erschienen im Patmos-Verlag: „Diese hierarchische, klerikale, selbstbezogene, auf Macht und Einfluss drängende Kirche, die Menschen unterdrückt statt befreit, die eine Drohbotschaft verkündet statt der Frohen Botschaft christlichen Glaubens, die ausschließt statt integriert, die fordert statt zu schenken, die Angst statt Mut und Hoffnung macht – diese Kirche ist am Ende, personell und moralisch.“ Sollte sich die Kirche nicht ändern, so würde sie zu einer unter vielen Sekten verkommen.

In ihren Schriften werden also so gut wie alle Thesen der sexuellen Revolution in theologischer Sprache wiedergegeben, inklusive der letzten Ausprägungen der Gender-Ideologie.

Die Aktivisten von „Wir sind Kirche“ brauchen diese Bücher nur zu lesen, um genügend Argumente für ihren Propagandafeldzug zu sammeln. Kurz: In Deutschland existiert eine gut geölte Maschinerie zur Zerstörung essentieller Bereiche des katholischen Lehramtes.

Wie destruktiv diese Forderungen sind, erklären ausführlich die Professoren am „Päpstlichen Institut Johannes Paul II.“ Juan José Pérez-Soba und Stephan Kampowski im Buch „Das wahre Evangelium der Familie. Die Unauflöslichkeit der Ehe: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit“.

Nach „moderner“ - aber natürlich völlig falscher – Auffassung, sind Sexualität und Fortpflanzung völlig getrennte Dinge, die man zusammenlegt, wenn es zweckmäßig erscheint, so Pérez-Soba und Kampowski. Insbesondere die „Sexuelle Revolution“ hat Sexualität von Liebe (und von der Ehe sowieso) getrennt. Und zwar nicht erst in den 1960er Jahren, sondern schon viel früher. Für den Psychoanalytiker Wilhelm Reich war Sexualität eine menschliche Tätigkeit, die völlig frei von höheren Erwägungen praktiziert werden sollte. Er vertrat also das glatte Gegenteil der katholischen Auffassung.

Bekanntlich hat sich Reichs Sichtweise immer mehr durchgesetzt. Inzwischen dermaßen stark, dass sich die katholische Kirche in einer Defensivposition befindet. Viele können gar nicht mehr nachvollziehen, wieso Sexualität nur in der Ehe stattfinden soll, zudem ohne künstliche Verhütungsmittel.

Diese moderne freizügige Mentalität prägt natürlich unsere Kultur. In Spielfilmen, Fernsehserien, Literatur, Talkshows, Werbung, ja, überall wird eine Sicht von Sexualität verbreitet, die weitgehend der von Wilhelm Reich und seinen Nachfolgern, vor allem Herbert Marcuse und den Achtundsechzigern, entspricht. Die moderne Kultur unterstützt nicht die katholische Kirche, ihre Ehe- und Sexualmoral den Menschen begreiflich zu machen. Ganz im Gegenteil: Die moderne Kultur steht in vielen Punkten konträr zum katholischen Lehramt.

Auf diese Situation gibt es zwei mögliche Antworten: Eine wäre, die Kultur komplett zu verändern. Das war die Haltung des Apostels Paulus und der anderen Apostel, die permanent der antiken Welt die Leviten gelesen und zu einer umfassenden Bekehrung aufgerufen haben. Dasselbe taten später Menschen wie der hl. Bonifatius oder der hl. Remigius, der Chlodwig I., dem König der Franken, nach seiner Konversion sagte: „Bete an, was du verbrannt hast – verbrenne, was du angebetet hast. Adora quod incendisti, incende quod adorasti!“

Kardinal Walter Kasper ist weit von solchen Vorstellungen entfernt. Er meint, man müsse die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit akzeptieren und mit ihnen ganz behutsam umgehen. Keineswegs solle man sie überfordern oder gar einen drastischen Lebenswandel verlangen.

Dieser „pragmatische Ansatz“ ist das Programm des Linkskatholizismus in Deutschland.

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Fast unnötig zu sagen, dass wenige im deutschen Episkopat den unverschämten Forderungen von „Wir sind Kirche“ widersprechen. Viele unterstützen sogar die Implementierung von Kardinal Kaspers Vorstellungen zur Familienpastoral. Dass diese schon mehrmals widerlegt wurden, unter anderem durch Kardinal Ratzinger, als er noch Glaubenspräfekt war, spielt keine Rolle. Auf Biegen und Brechen wollen die Progressisten die katholische Kirche dem modernen Zeitgeist anpassen. Diese Situation ist natürlich nicht neu. Neu ist allerdings die Entschlossenheit, mit der man die katholische Ehe- und Sexualmoral über Bord werfen will.

„Wir sind keine Filiale von Rom.“ Dieser Spruch kam bekanntlich nicht von Reichskanzler Otto von Bismarck während des Kulturkampfes, sondern laut kath.net aus dem Munde von Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz und Erzbischof von München-Freising, ausgesprochen vor kurzem auf einer Pressekonferenz.

Das war keineswegs ein Ausrutscher.

Reinhard Kardinal Marx gab schon am 22. Januar der US-amerikanischen Zeitschrift der Jesuiten America ein Interview, in welchem er seine Hoffnungen für die Familiensynode im Oktober 2015 und seine Vision von Kirche schildert. In Deutschland wurden vor allem die Passagen zu geschiedenen Wiederverheirateten und Homosexuellen registriert. Die Süddeutsche Zeitung wählte für ihren Bericht die Überschrift „Auch Homosexuelle gehören dazu“, der Nordbayerische Kurier titelte: „Marx für Reformkurs bei wiederverheirateten Geschiedenen“.

Diese Themen sind zur Zeit die wichtigsten für die sogenannten Reformkatholiken, die eine Anpassung der Lehre der katholischen Kirche an die Maxime der sexuellen Revolution der Achtundsechziger-Bewegung anstreben.

Doch Kardinal Marx beschränkt sich im Interview mit „America“ keineswegs auf diese Themen, sondern präzisiert und aktualisiert die üblichen Anschauungen des Reformkatholizismus. Damit stellt er sich an die Spitze einer Bewegung, die spätestens seit dem Missbrauchsskandal vor fünf Jahren immer deutlicher und lauter in der Öffentlichkeit ihre Ansichten vertritt: Die Kirche müsse ihre Strukturen drastisch schleifen, die Kirche müsse sich demokratisieren, und das kirchliche Lehramt müsse sich dem heutigen Lebensgefühl anpassen.

Der sogenannte „Fall Tebartz-van Elst“ im vergangenen Jahr war ein neuer willkommener Anlass für die liberalen Katholiken, für ihre Agenda zu werben. Angeblich um in Zukunft „Limburger Verhältnisse“ auszuschließen, müsse nun auch über eine neue Definition des Bischofsamtes und der kirchlichen Hierarchie schlechthin diskutiert werden.

In Wahrheit geht es um eine völlig neue Vision dessen, was Kirche überhaupt ist. Dies wird im Interview von Kardinal Marx mit America sehr deutlich. So sagt er: „Die Kirche kann der Welt zeigen, dass sie nicht ein Instrument für sich selbst, sondern für die Einheit der Nation und der Welt sein kann.“ Die Kirche dürfe keine narzistische Kirche, keine Kirche der Furcht sein, so Marx.

Verständnis zeigt Kardinal Marx auch für homosexuelle Partnerschaften, für „wilde Ehen“, für wiederverheiratete Geschiedene, für die Forderungen, die Sakramentenlehre zu verändern. Für ihn sei sowieso nicht klar definiert, was die katholische Kirche über Ehe und Familie lehrt.

Kardinal Marx tritt ein für eine Entklerikalisierung der Macht an der römischen Kurie. Dementsprechend sollten Laien wichtige Ämter, sogar den Vorsitz von Räten, Kongregationen (also der vatikanischen Ministerien) und sonstigen Verwaltungseinheiten übernehmen.

An diesen Aussagen wird folgendes klar: Die Kirche wird von den liberalen Reformkatholiken nicht primär als Hüterin der Wahrheit aufgefasst, sondern als ein Ort der Begegnung, wo sich alle Menschen, egal wie sie sind, treffen. Damit das überhaupt funktionieren kann, muss sich die Kirche an den Zeitgeist anpassen und möglichst offene Grenzen haben. Die Grenzen zwischen katholisch und nicht-katholisch werden möglichst verwischt – aber nicht so stark, dass das die Kirchensteuereinnahmen gefährden könnte). Um das wiederum zu erreichen, ist eine Schwächung des Priester- und Bischofsamtes nötig.

In einer solchen Kirche kann die Wahrheit beziehungsweise die Treue zum Evangelium nicht im Mittelpunkt stehen. Das wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, doch das ist die zwangsläufige Konsequenz. Damit die Wahrheit gegen die ständigen Angriffe gewappnet ist, muss sie hierarchisch auf der Basis des Weihesakramentes aufgebaut sein.

Sollte dieser Prozess lange genug fortdauern, entstünde ein formloses Gewebe von Bistümern und Pfarreien ohne festumrissene Gebietsabgrenzungen. Das Sagen hätten pseudo-demokratische Gremien und charismatische Figuren, die einen Lebensstil vorgeben, der nicht mehr an festdefinierte Glaubenswahrheiten gebunden ist.

Eigentlich sähe dann die Kirche nicht viel anders aus als die utopische poststrukturalistische Gesellschaft der Achtundsechziger-Revolutionäre.------


Dass in Deutschland die katholische Kirche nicht schon längst einen Sonderweg eingeschlagen hat, ist maßgeblich in Deutschland lebenden Gläubigen aus Kroatien, Polen oder Afrika zu verdanken. Ohne diese Katholiken würde vielerorts, vor allem in Großstädten, kaum noch Glaubensleben mehr existieren. Zudem werden sie immer aktiver und mischen sich inzwischen auch in kirchenpolitische Angelegenheiten ein. Der hierzulande noch herrschende Laien- und Rätekatholizismus von Reformkatholiken, der in den entscheidenden Ämtern sitzt und über großzügige finanzielle Mittel verfügt, bekommt allmählich Konkurrenz.

Hoffnung für die Kirche kommt entspringt heute vor allem aus Ländern und Regionen, in denen der Glaube noch nicht so stark verdunstet wie bei uns: Polen, Asien, Afrika. Von dort sowie aus den USA kam bei der Familiensynode im Oktober 2014 der größte Widerstand gegen die Demontage der Ehe- und Sexualmoral.

Aber Hoffnung kommt auch von deutschen Katholiken selbst. Lange Zeit haben sie es zugelassen, dass sich der linksliberale moderne Geist in der Kirche ausbreitet. Doch auch diese Katholiken werden aktiver und organisieren sich.

Wie diese Auseinandersetzung ausgehen wird, ist noch ungewiss. Eines ist sicher: Die katholische Kirche in Deutschland geht turbulenten Zeiten entgegen. „Doch am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren“ hat die Gottesmutter in Fatima versprochen. O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir zu Dir unsere Zuflucht nehmen!