Montag, 27. November 2006

Adoption statt Abtreibung?

Dieses Jahr ist erneut die Zahl von Adoptionen gesunken. Während im Jahr 1993 etwa 8700 Kinder adoptiert wurden, waren es letztes Jahr nur noch 4800. Diese Zahlen stehen in starkem Kontrast zur Anzahl adoptionswillige Eltern. Von ungefähr 100 Antragstellern bekommt nur einer ein Adoptionskind. Wenn man sich noch vor Augen hält, daß in Deutschland jährlich über 125.000 laut offiziellen Statistiken getötet werden, kann man nur noch den Kopf schütteln. Wie kann es zu dieser Situation kommen. Wieso können die adoptionswilligen Ehen keine dieser abgetriebenen Kinder zu sich nehmen und in ihre Familien integrieren?

Das hat verschiedene Gründe, eines davon sind die Hürden, die der Gesetzgeber für die Adoption in Deutschland aufgebaut hat.

Das Adoptionsrecht hat sich in Laufe des 20ten Jahrhunderts sehr stark verändert. Am Anfang des Jahrhunderts standen die Interessen der annehmenden Familie im Vordergrund. Doch im Laufe der Zeit hat sich das Wohl des Kindes immer mehr ins Zentrum gerückt und ist heute das ausdrückliche Ziel der Adoption. Dies ist zum Teil die Reaktion auf mehrere Fälle von extremer Verwahrlosung und Mißhandlung von adoptierten Kindern. Auf die Frage, ob der Gesetzgeber über das Ziel hinausgeschossen haben und Adoptionen mehr oder weniger unmöglich gemacht haben, wollen wir hier nicht eingehen. Um diese Frage zu beantworten müßte man genaue Einsicht in die Praxis der Adoptionsverfahren haben.

Das Adoptionsrecht ist kein eigenständiger Gesetzestext sondern Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die entsprechenden Paragraphen sind §§ 1741 – 1772. Um das Wohl des Kindes als Ziel zu betonen wird auch nicht von „Adoption“ gesprochen, sondern von einer der Annahme Minderjähriger. Ebenso werden keine Adoptiveltern erwähnt, sondern „Annehmende“.

Die Adoptionsvermittlung ist eine Pflichtaufgabe der Jugendämter, die eine sog. Adoptionsvermittlungsstelle errichten müssen. Die Fachkräfte für diese Stelle müssen besondere, im Adoptionsvermittlungsgesetz festgelegte Qualifikationen nachweisen können.

Bevor es zu einer Adoption kommt, wird ein langer Katalog von Kriterien geprüft, um zu ermitteln, ob sich in allen maßgeblichen Facetten das Leben des Kindes verbessern wird oder nicht. Dazu gehören:

Ist zu erwarten, daß es zu einer Eltern-Kind Beziehung kommt?
Ist der Altersunterschied angemessen? Es wird kein konkreter Unterschied angegeben, aber der übliche Altersunterschied von Eltern zu ihren leiblichen Kindern gilt als Maß.
Wie wird sich das Vorhandensein anderer (leiblicher) Kinder auf das Wohl auswirken?
Werden die Adoptiveltern das Wohl des Kindes bei der Adoption akzeptieren?
Welche Motive spielen bei den potentiellen Adoptiveltern eine Rolle?
Sind beide potentiellen Adoptiveltern berufstätig? Eine Betreuung durch dritte, beispielsweise ein Kindermädchen, ist ein gravierendes Hindernis für eine Adoption.
Wie sind der Gesundheitszustand und die psychische Belastung der Interessenten?
Liegen körperliche Behinderungen vor?
Sind die Wohnverhältnisse angemessen? Wird das Kind genug Platz haben? Wird es sich auf das soziale Umfeld gewöhnen können?
Sind die Ehe und die familiären Beziehungen stabil?
Wird sich das Kind in den gesamten Familienverband einleben können?
Usw.

Falls diese Prüfung positiv ausfällt, müssen beide (leiblichen) Eltern bereit sein, das Kind zur Adoption freizugeben. Dies kann nach der gegenwärtigen Gesetzeslage frühestens 8 Wochen nach der Geburt geschehen.

In der Regel muß auch der Vater des Kindes einwilligen. Jedoch gibt es Ausnahmen, beispielsweise wenn der Vater völlig unbekannt ist, bzw. er wird von der Mutter nicht benannt.

Die elterliche Einwilligung kann im Falle von gröbliche Vernachlässigung der elterlichen Pflichten gegenüber dem Kind aufgehoben werden und vom Jugendamt übernommen werden. Das geschieht vor allem in Fällen von körperlicher, geistiger oder seelischer Kindeswohlgefährdung.

Adoption als Alternative zur Abtreibung?

Mit dieser knappen Erläuterung des Adoptionsrechtes kann man nun Erwägungen stellen, wie man die Adoption einsetzen könnte, um die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren.

In der gegenwärtigen Rechtslage ist die 8-Wochen Frist nach der Geburt die wichtigste Hürde, um die Adoption als Alternative zur Abtreibung anzubieten.

Diese Frist wurde eingeführt, um der Mutter genug Bedenkzeit zu lassen. Das ist unter normalen Umständen verständlich, doch heutzutage führt dies dazu, daß eine Mutter, die ihr Kind n nicht haben will, es lieber tötet.

Wegen der gegenwärtigen Gesetzeslage muß eine Frau, die das Kind nicht haben will, es erst austragen, dann 8 Wochen warten um dann die Einwilligung zu geben. Für eine Frau, die ihr Kind nicht will, ist das ein enormes Risiko. Sie kann ihr Kind zwar vor der Geburt töten, wenn es erstmal geboren hat, hat es viele Rechte und die Mutter viele Pflichten. Diesen kann und will sie möglicherweise mit einer Adoption ausweichen, falls diese sich aber als zu schwierig gestaltet, wird sie die Abtreibung in Betracht ziehen.

Außerdem noch muß der Vater auch einwilligen – ein weiteres Risiko, denn es muß nicht sein, daß er das will. Im Falle, daß die Mutter das Kind auf keinem Fall will, wird sie eine Abtreibung zumindest überlegen, um das Risiko der Nicht-Einwilligung des Vaters zu entkommen. Einer Abtreibung muß nur die Mutter zustimmen, der Vater hat kein Vetorecht.

Fazit: Das heute existierende Adoptionsgesetz berücksichtigt überhaupt nicht die Tatsache, daß viele Kinder schlicht und ergreifend gar nicht geboren werden, sondern vorher getötet werden. Als der Gesetzgeber das Wohl des Kindes als Ziel einer Adoption formuliert hat, hat er die Abtreibung überhaupt nicht mitberücksichtigt. Und dabei hat er die Möglichkeit einer Adoption ohne Einwilligung der Eltern belassen, falls das Kind körperlich, seelisch und geistig gefährdet ist. Das ist genau der Fall bei einer Abtreibung.

Hier liegt offensichtlich eine Gesetzeslücke vor. Die Abtreibung muß in das Blickfeld des Adoptionsrechtes kommen. Ein Gesetz, das konkret diese Situation vorsieht, wäre auch nicht besonders schwer herzustellen im ohnehin reichlich mit Ausnahmen formulierten Adoptionsrecht. Der Fall der Ungeborenen-Adoption, mit der Möglichkeit der alleinigen Einwilligung der Mutter (mit einer Rücktrittsfrist), die in den Gesprächen bei der Schwangerschaftskonfliktberatung angeboten wird, ist das Mindeste was man von einem Gesetzgeber verlangen kann, der so hoch das Kindeswohl bewertet und deshalb den Staat enorme Einmischungsrechte in die Familien gewährt.

Copyright: Mathias von Gersdorff